Jubiläum in Mönchengladbach
Schlaraffia „weg von der Wirklichkeit“
Mönchengladbach · Seit 99 Jahren gibt es die Mönchengladbacher Schlaraffia. Der Verein, dessen Mitglieder ein komplexes Ritterspiel betreiben, ist nur wenigen bekannt. Doch ein Blick hinter die Mauern der „Geroburg“, ihres Vereinsheims im Haus Erholung, lohnt sich.
15.04.2024 , 05:10 Uhr
Tina Walberger
Bei der Schlaraffia-Sitzung führten Ludolf Kolsdorf (Mitte links) und Herbert Winkens durch den Abend.
Foto: Markus Rick (rick)
Es ist der elfte Tag im Ostermond anno Uhui 165, der 11. April 2024 nach nicht-schlaraffischer Zeitrechnung. Im Haus Erholung versammeln sich 22 Männer aus Mönchengladbach, um miteinander zu singen, zu lachen und einfach einen schönen Abend zu verbringen. Im Alltag sind sie Lehrer, Toningenieur oder Bankkaufmann, in der Burg werden sie zu Knappen, Junkern und Rittern. Entscheidend ist dabei nur, wer schon wie lange dabei ist, in der Regel erfolgt nach vier Jahren Mitgliedschaft der Ritterschlag.
Gäste des Vereinsabends im Haus Erholung müssen durch ein Spalier aus hochgehaltenen Holzschwerten gehen.
Foto: Markus Rick (rick)
1859 von deutschen Künstlern, Musikern, Schauspielern und Literaten in Prag gegründet, ist die Schlaraffia heute ein weltumspannender, aber immer deutschsprachiger Verein mit ungefähr 9000 Mitgliedern. Seit 99 Jahren gibt es das „Reych“ Gladebachum Monachorum, also den Mönchengladbacher Ortsverband. Kunst, Freundschaft und Humor sind die Säulen des Vereins.
Oft besuchen die Schlaraffen auch Treffen in anderen Städten, heute sind gleich zehn Gäste aus acht „Reychen“ zu Gast in Mönchengladbach. Ritter 3hoch3 aus Coburg hat die längste Anreise hinter sich, eigentlich ist er aber auch mit Frau und Tochter im Wohnmobil unterwegs nach Amsterdam. Als „überall anders, aber immer schön“ beschreibt er die Treffen, die er schon besucht hat.
Der Uhu ist das Symboltier aller Schlaraffias.
Foto: Markus Rick (rick)
Die Schlaraffia biete eine Alltagsflucht, „weg von der Wirklichkeit und von beruflicher Belastung“, sagt Ritter Mäck-Logo, der außerhalb der Schlaraffia Herbert Winkens heißt. Mit Ritter Tastaplaning, bürgerlich Ludolf Kolsdorf, und Ritter Hortensius teilt er sich im aktuellen Winterhalbjahr den Thron und moderiert die Treffen. Jedes Jahr wählen die Schlaraffen andere Vertreter in dieses Amt, alle Ritter können übernehmen. Der Ablauf im ersten Teil der Treffen ist immer gleich, die Gäste werden begrüßt, Jubilare geehrt, es wird detailliert diskutiert, ob das Protokoll der vergangenen Sitzung korrekt geführt wurde. Dass immer etwas zum Kritisieren gefunden wird, gehört dazu, schließlich wollen die Schlaraffen auch das Obrigkeitsdenken persiflieren, waren deshalb in der Nazizeit sogar verboten.
Als eine „offene Bühne in einem geschützten Raum“ beschreibt Junker Christian vor allem den zweiten Teil der Treffen, bei dem ortsansässige Schlaraffen und Gäste humorvolle Gedichte, anspruchsvolle Kurzvorträge oder Musik zum Besten geben. Man könne Neues ausprobieren, ohne ausgelacht zu werden. Ähnlich sieht es wohl auch Ritter Säguso aus Duisburg, der „einfach aus Jux“ für ein Treffen gelernt hat, die singende Säge zu spielen. Inzwischen ist er damit über die Grenzen seines „Reyches“ hinaus bekannt, er spielt sie, wenn er in anderen „Reychen“ zu Gast ist und inzwischen sogar auch in einem nicht-schlaraffischen Orchester.
Bei einem Ritterspiel wie der Schlaraffia dürfen auch Duelle nicht fehlen. Wenn ein Schlaraffe sich durch das Verhalten eines anderen missverstanden fühlt, darf er ihn zum Duell herausfordern – ausgeführt mit den Waffen des Geistes. Beide entwerfen zum Vorfall passende Beiträge beliebiger Art. Heute ist Junker Christian der Herausforderer. Bei einem vorherigen Treffen war er nicht im Sitzungsprotokoll genannt worden und tritt deshalb gegen den Protokollanten, Ritter Lau-Lau, an. Christian singt „Verlieben, verloren, vergessen, verzeih‘n“ von Wolfgang Petry, umgetextet zu „Gemieden, vertrieben aus diesem Reych“.
Der Mut zur für ihn neuen Form wird belohnt, bei der folgenden Abstimmung entscheiden die Schlaraffen, dass er das Duell gewonnen hat. Lau-Lau, der in einem Gedicht im Stil von Goethes Zauberlehrling mit den Worten „Falle, falle, möglichst schnelle im Duelle“ versucht hatte, den Sieg zu erringen, überreicht ihm den goldenen Anstecker, den es zur Belohnung für den gewonnenen Kampf gibt. Dann nimmt er seinerseits die Auszeichnung in Silber entgegen. Bei schlaraffischen Duellen gibt es keine Verlierer, und spätestens nach einer Umarmung ist der ohnehin eher freundschaftliche Zwist vergessen.
Wer probeweise ein Treffen der Schlaraffia besucht, fühlt sich entweder sofort gut aufgehoben oder kann überhaupt nichts damit anfangen, denn es ist schon eine ungewöhnliche Situation. Und auch, dass 165 Jahre nach der Gründung des ursprünglichen Männerbundes immer noch keine Frauen beitreten können, ist durchaus ein strittiges Thema.
Quelle: RP-Online
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